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2024 war Pauline Sauter eine der Preisträgerinnen des SIA Masterpreises Architektur. Dieses Jahr suchte sie als Jurymitglied die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger aus. Mit uns teilte sie Einsichten und Erkenntnisse an der Schwelle zwischen Hochschulleben und Architekturpraxis.
Vor knapp zwei Wochen fand die Jurierung des diesjährigen SIA Masterpreises Architektur statt. Als Preisträgerin von 2024 waren Sie als Jurymitglied dabei. Wie haben Sie den Prozess erlebt?
Pauline Sauter: Es war sehr spannend für mich, die Innensicht einer Jurierung zu erleben, auch weil es das erste Mal für mich war. Beeindruckt hat mich vor allem die Vielfalt der Projekte, die behandelt wurden – der ganze Fächer an Themen, die unsere Generation beschäftigt. Auch die Komplexität von einigen Projekten, die sich Themen angenommen haben, die ausserhalb des klassischen Architekturschaffens liegen.
Diese «Aussenseiterthemen» geben an den Jurierungen des Masterpreises regelmässig zu reden – oft sind die Entwürfe spannend, aber thematisch in einer anderen Disziplin angesiedelt, etwa in der Landschaftsarchitektur oder in der Soziologie. Sollten solche Projekte Ihrer Meinung nach im Rahmen einer Auszeichnung für Abschlussarbeiten in der Architektur berücksichtigt werden?
Es ist sicher nicht einfach für eine Jury aus Architektinnen und Architekten, solche Projekte zu besprechen und auch zu bewerten. An den Hochschulen lernen die Studierenden, Fragen zu stellen und Prozesse zu hinterfragen. Bei eher fachfremden Projekten liegt die Schönheit vielleicht nicht unbedingt im klassischen Sinn in einem Bild oder in einem Plan, sondern in der Gestaltung des Prozesses oder der Erarbeitung einer Strategie. Ich glaube, mit solchen Projekten hat sich die Jury eher schwergetan. Hier manifestiert sich das wandelnde Rollenverständnis von Architektinnen und Architekten: Wir fragen uns, was alles zu unserem Aufgabenbereich gehört. Das ist eine Schwierigkeit, aber auch eine Chance, und letztendlich müssen wir als Jury uns solche Themen erarbeiten.
Haben Sie eine Idee, wie man diese Problematik entschärfen könnte?
Es wäre hilfreich, Vertreterinnen und Vertreter anderer Disziplinen hinzuzuziehen. Auch bei klassischen Architekturwettbewerben wird das ja oft so gehandhabt. Architektur ist per se interdisziplinär. Ein weiterer Punkt ist die generationenübergreifende Zusammensetzung. Ich selbst habe mein Studium vor zwei Jahren abgeschlossen, bin jedoch weiterhin mit dem Diskurs an der Hochschule verbunden. Ich fand es positiv, dass bei dieser Jurierung jemand dabei war, der so nahe an der Realität der Studierenden ist und eine Übersetzungsfunktion einnehmen konnte zwischen Lehre und Praxis.
Stichwort Praxis – seit ihrem Abschluss im Sommer 2024 stehen Sie als angestellte Architektin im Berufsleben. Hat Sie die Ausbildung an der ETH Zürich adäquat darauf vorbereitet?
Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Lehre und der Praxis. Von den Lehrenden an den Hochschulen wird diese Diskrepanz auch antizipiert und ist sicher gewollt, weil sie die Schwierigkeiten und den Handlungsbedarf in der Baubranche sehen. Wir wurden darauf sensibilisiert, Prozesse zu hinterfragen und den Mut zu haben, eine Haltung einzunehmen. Die Ausbildung kritischer Stimmen reicht jedoch nicht aus. Die Baubranche muss auch bereit sein, diesen Stimmen Raum und Gewicht zu geben, entgegen von Alters- und Erfahrungshierarchien.
Oft wird diese gesellschaftlich engagierte Architektur zwar als relevant empfunden, gleichzeitig aber – konkret am Beispiel der Masterarbeiten – kritisiert, dass dabei das klassische Handwerk auf der Strecke bleibt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Tatsächlich können die Fragen, die solche gesellschaftlich engagierten Arbeiten aufwerfen, nicht immer mit klassischem Architekturhandwerk beantwortet werden. Für mich stellt sich die grundlegende Frage, wie wir unser Berufsbild definieren. Verstehen wir Architekturschaffende primär als Dienstleisterinnen in der Baubranche, wäre es bedenklich, wenn dabei das klassische Handwerk auf der Strecke bleibt. Doch wenn man der Meinung ist, dass Architekturschaffende in Krisenzeiten produktiv zur Lösung dieser Krisen beitragen können, wäre es fahrlässig, dies nur in gebauter Architektur zum Ausdruck zu bringen. Die Einreichungen zeigen: Gesellschaftlich relevante Fragen aufzuwerfen und gleichzeitig gute Architektur zu entwerfen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ich denke, dass man sich ab einem bestimmten Punkt im Projekt bewusst entscheiden muss – entweder dafür, abstraktere gesellschaftliche Themen zu verhandeln oder dafür, aus dem Thema ein konkretes Projekt zu entwickeln. Beides ist relevant, beides muss Platz haben.
Was wäre Ihre Botschaft an die Studierenden von heute?
Ich würde den Studierenden Mut zusprechen – in einer Zeit, in der wir uns vielleicht fragen, was es bringen soll, über eine Fassadenkomposition zu streiten, es trotzdem zu tun und Freude daran zu haben. Architektur ist der Schönheit verpflichtet – bei aller Notwendigkeit, sein Handeln in einen grösseren Kontext zu stellen.
Pauline Sauter hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Seit 2024 arbeitet sie als Architektin bei Schaub Zwicky Architekt:innen. 2025 hat sie STUDIO EPE mitgegründet. Für ihre Masterarbeit «Re-Arrangements» hat sie den SIA Masterpreis Architektur 2024 erhalten sowie eine Anerkennung der SIA Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken 2024 und den 3. Heinrich Hatt-Bucher-Preis 2025.