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Diesen Herbst begibt sich der SIA Masterpreis Architektur erstmals in die Südschweiz. Wie sieht die Architekturlehre ennet dem Gotthard aus? Ein Gespräch mit Walter Angonese, ehemaliger Direktor der Accademia di architettura in Mendrisio und Elena Fontana, Architektin mit Büros in Zürich und Lugano.
Diesen Oktober finden Jurierung und Verleihung des SIA Masterpreises Architektur erstmals im Tessin statt. Warum engagiert sich die Accademia di architettura hierbei, Herr Angonese?
Walter Angonese: Wir glauben, dass es eine extrem wichtige Initiative ist. Innerhalb des Architekturrats sind wir der Meinung, dass der Bildungsstandort Schweiz als Ressource stärker thematisiert werden muss, der Masterpreis leistet hier einen wichtigen Beitrag. Die Auszeichnung fördert eine kritische Diskussion über die Architekturausbildung in der Schweiz. Es ist eine Ehre, dass wir den Preis ausrichten dürfen, und wir freuen uns schon sehr darauf.
Frau Fontana, Sie kennen sowohl die Deutschschweiz als auch das Tessin. Wie beurteilen Sie die Architekturausbildung an der Accademia di architettura?
Elena Fontana: Im Vergleich zu den Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne ist die 1996 gegründete Accademia jung. Nichtsdestotrotz spielt sie eine wichtige Rolle: Sie trägt dazu bei, das nationale Bildungsangebot zu diversifizieren. Denn der Ansatz der Accademia in der Architekturausbildung ist einzigartig in der Schweiz. Der Schwerpunkt liegt auf dem Projekt und der Entwicklung der kritischen Fähigkeiten der Studierenden. Die Architektin, der Architekt steht dabei weiterhin im Zentrum des Bauprozesses – das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr.
Walter Angonese: Das Modell «Accademia» mit seinem humanistischen Ansatz ist von den Gründern Mario Botta und Aurelio Galfetti als Alternative zu den beiden Technischen Hochschulen konzipiert worden. Inzwischen haben sich alle Hochschulen in dieser Hinsicht angenähert, doch der Schwerpunkt auf Humanismus, auf kulturelle Belange im Entwurf, auf kritisches Denken ist ein wichtiger Aspekt an der Accademia. Der holistische Ansatz von Architektur in ihrer disziplinenübergreifenden, Auffassung ist ein Modell, das nach wie vor sehr gut funktioniert. Spezialisten können woanders ausgebildet werden.
Gibt es weitere Besonderheiten, die die Lehre in Mendrisio auszeichnen?
Walter Angonese: Wir sind sehr international aufgestellt, sowohl beim Lehrkörper als auch bei den Studierenden. Bei uns finden sich über 40 Nationalitäten. Das bringt ein starkes Vernetzungspotential, erlaubt kulturelle Vergleiche auf dem eigenen Weg hin zu einer eigenen Spezifizität. Dass diese Welten bei uns aufeinandertreffen – nicht in einem virtuellen, sondern in einem physischen Raum – ist ein Reichtum, den es zu pflegen gilt.
Elena Fontana: Trotz dieser Internationalität ist es ein sehr familiäres Umfeld, anders als in Zürich oder in Lausanne. Das schafft eine grosse Verbundenheit.
Sie haben die Internationalität erwähnt. Wie steht es um die Studierenden aus der Region?
Walter Angonese: Wir haben rund 15 bis 20 Studierende aus dem Tessin pro Jahr, bei 150 Studierenden im ersten Jahr. Dazu kommen jene der Fachhochschule SUPSI, die für ihr Masterstudium an die Accademia kommen und dafür keine Aufnahmeprüfung brauchen. Mindestens so wichtig wie ein bildungspolitisches Ziel ist aber das Potenzial der kulturellen Vernetzung für den Kanton. Mendrisio profitiert stark vom Bildungszentrum mit der SUPSI und der Accademia. Die Stadt ist offener geworden, kulturell vielfältiger. An der Accademia hingegen profitieren wir von einem Territorium mit einer reichen architektonischen Geschichte. Wir wollen die Möglichkeiten, die es hier gibt, nutzen, in unseren internationalen Ansatz einbringen und auch zurückgeben. Etwa mit unseren Masterarbeiten: Wir machen vermehrt Projekte, die sich spezifisch nur mit dem Territorium befassen, 2024 etwa mit der Grenzstadt Basel. Im nächsten Diplom liegen die Seitentäler des Tessins im Fokus.
Mit dem Masterpreis kommen nun alle Schweizer Architekturhochschulen mit ihren Arbeiten zu Ihnen ins Tessin. Welche Rolle wird der Masterpreis im schulischen Alltag spielen?
Walter Angonese: Für die Studierenden und auch die Dozierenden ist das eine einmalige Gelegenheit: Sie erhalten eine repräsentative Übersicht über die besten Arbeiten aller Architekturhochschulen der Schweiz. Es erlaubt ihnen zu sehen, wo sie stehen und wo sie hinkommen könnten. Diese Reibung ist hoch interessant.
Apropos Reibung – der SIA Masterpreis geht dieses Jahr in die vierte Ausgabe. Haben Sie einen Wunsch, wie der Masterpreis sich zukünftig gestalten soll?
Elena Fontana: Ich wünsche mir, dass es die Arbeiten aus dem Elfenbeinturm der Hochschulen hinausschaffen und auch auf politischer Ebene stärker wahrgenommen werden. Denn dort werden die Rahmenbedingungen für unser Schaffen gelegt. Es wäre wichtig zu zeigen, welches Potenzial in den Architekturhochschulen der Schweiz liegt.
Walter Angonese: Ich schlage in die gleiche Kerbe. Ich wünsche mir, dass mehr Verantwortungsträger an der Preisverleihung und bei der Ausstellung präsent wären. Nirgendwo sonst lassen sich die Vielfalt und der Reichtum des Bildungsstandorts Schweiz so gut vermitteln. Dieses Bewusstsein in die Politik einzubringen, verständlich zu machen, dass es nicht um Partikularinteressen einer Branche geht, sondern um ein grosses Ganzes – das wäre schön.
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SIA Masterpreis Architektur 2025
Zum vierten Mal werden die besten Masterarbeiten der Schweiz im Fach Architektur ausgezeichnet. Nach der Jurierung Anfang Oktober sind die Projekte bis zum 26. 10. 2025 an der Accademia di architettura in Mendrisio zu sehen. Dort findet am 22. 10. 2025 auch die Preisverleihung statt.